Warum kleine Konzerte mehr Größe haben
Warum gehst du auf ein Konzert? Für die Insta Story? Für den Künstler? Für die Crowd?
CATEGORY:
Opinion
DATE:
29. August 2025

Die Crowd
Hoffentlich eher für die Crowd als die Insta Story, denn Fakt ist:
Bei einer Aufführung in der Elbphilharmonie könnte es mich kaum weniger interessieren Wer in Reihe 14 B sitzt. Schließlich bin ich nur anwesend um zu suggerieren ich wüsste mehr über die gespielte Symphonie, als „klingt subber". Aber bei einem Konzert von Rin oder Souly entscheidet Reihe 14 B mitunter über meinen ganzen Abend. Künstler wie Rin legen ihre ganze Show auf das Publikum aus. Die Shows leben von der Extase und dem mitsingen der Crowd.
Und natürlich eskalieren auch 100.000 Leute vor Travis Scott - aber Ausnahmen bestätigen die Regel.
Faustregel: Wenn das Konzert aus mehr „Wooooooo“- Rufen als Lyrics besteht, bist du entweder auf einem Set von DJ Levi, welcher versucht mit seiner Zunge die Nasenspitze zu berühren, oder du wirst Zeuge, wie dein Lieblingskünstler endlich den Durchbruch geschafft hat. Die Hälfte des Publikums nickt im Takt, die andere sprengt den Handy-Speicherplatz durch 12min Videos.
Und falls du unter 1,70 m bist, siehst du die Bühne nicht. Aber du siehst das Handy von Nils. Nils steht direkt vor dir, balanciert sein 6,50-€-Bier zwischen den Zähnen und streckt sein Samsung wie eine Fackel gen Himmel, fest entschlossen, Teil der Blitzlichtgewitter-Choreografie zu werden.
Im Gegensatz dazu steht die erste Tour eines Künstlers im Hinterhof-Club. Die Bühne ist kaum mehr als eine erhöhte Treppenstufe, die Location fasst 150 Menschen. Schon beim ersten Bier landet man in einer Unterhaltung mit 2% des Publikums und lernt, dass 10% mit dem Artist befreundet sind. 95% kennen alle Lyrics, 100% haben Bock. All das während erstaunlicherweise an die 0% Handy-Kapazität benötigt werden. Warum auch - wenn der Artist nach dem Konzert ein Foto postet, auf dem sowieso alle drauf sind?
Die Vorband spielt zum ersten Mal vor echten Menschen und könnte dankbarer nicht sein. Und während der Main-Act nicht nur mit dem Publikum interagiert, sondern mit ihm auf der Bühne tanzt, entsteht die „weißt du noch als..“ Storyline für 150 Konzertteilnehmer.
Einmal und nie wieder
Ich weiß noch genau, wie mich ein Freund zu meinem ersten Souly-Konzert geschleppt hat. Knapp 100 Leute, Ponyhof Frankfurt.
Schlechte Lüftung, lauter Bass, perfekte Nacht.
Seitdem war jedes Souly-Konzert unglaublich — egal ob vor 100, 1.000 oder 10.000 Menschen. Aber 100 war besser als 1.000. Und 1.000 besser als 10.000.
Und auch das Konzert von KUMMER war eines der schönsten, die ich je erlebt habe. Vielleicht gerade weil mir bewusst war, dass es dieses Konzert nie wieder geben wird. Das Projekt Kummer (vom Kraftklub-Frontmann) ist vorbei.
Und genau deshalb fühlt es sich so besonders an:
Ich werde Souly wahrscheinlich nie wieder vor nur 100 Leuten erleben. Und gleichzeitig hatte ich die Chance einen Künstler zu unterstützten als die Tour Kosten die Einnahmen noch übertrafen.
Natürlich kann auch ein großes Konzert mit Nils im Publikum phänomenal sein. Vor allem US Acts wie Tyler the Creator oder Kendrik Lamar legen eine Performance hin, welche nur auf der großen Bühne funktioniert. Aber wer Kultur fördern und zu einem Konzert gehen will, welches mehr im Herzen als im Handy überdauert, sollte ein paar kleineren Künstlern eine Chance geben.